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Die Wasserstoffbrücke

Eine Einführung in die Materie der Wasserstoffbrücken von Bogumil Brzezinski und Franz Bartl

 

Wasserstoffbrücke

 

Georg Zundel hat sein wissenschaftliches Leben der Erforschung von Wasserstoffbrückenbindungen, kurz Wasserstoffbrücken, gewidmet. In diesen chemischen Bindungen sind zwei Gruppen, nämlich eine Donor- und eine Akzeptorgruppe über ein Wasserstoffatom miteinander verknüpft. In der Donorgruppe ist der Wasserstoff an ein Atom, z. B. Sauerstoff, Stickstoff oder andere Atome gebunden. Die Akzeptorgruppe besteht aus einem Atom mit einem oder mehreren freien Elektronenpaaren, die mit dem Wasserstoff der Donorgruppe wechselwirken. 

Obwohl Wasserstoffbrücken, verglichen mit anderen chemischen Bindungen, schwache Wechselwirkungen sind, bestimmen sie die spezifischen Eigenschaften vieler für das Leben essentieller Moleküle. Wenn z. B. Wassermoleküle nicht über Wasserstoffbrücken verknüpft wären, dann würde Wasser nicht bei 0° schmelzen und bei 100° sieden, sondern es würde beides erst bei zwei- bis dreistelligen Minustemperaturen eintreten. Die Folge wäre, dass es auf der Erde kein flüssiges Wasser sondern nur Wasserdampf gäbe und somit Leben in der jetzigen Form nicht möglich wäre. 

Wasserstoffbrücken stabilisieren auch die Strukturen von Proteinen und sorgen so für ihre biologische Funktion. Ohne Wasserstoffbrücken wären enzymatische Prozesse undenkbar. In der DNA schließlich verbinden Wasserstoffbrücken die einzelnen Stränge zur charakteristischen Doppelhelixstruktur.

Bevor wir auf die Bedeutung Georg Zundels für unser heutiges Verständnis von Wasserstoffbrücken zurückkommen, sei ein kurzer Blick auf die Historie ihrer Erforschung erlaubt. Bereits 1920 wurde der Begriff „Wasserstoffbrücke“ von Latimer und Rhodebush eingeführt [J.Amer.Chem.Soc. 42, 1419 (1920)].

Unabhängig von diesen Autoren schrieb M. Huggins folgendes: „… in terms of the Lewis theory, a free pair of electrons on one water molecule might be able to exert sufficient force on a hydrogen held by a pair of electrons on another water molecule to bond the two molecules together.” Es war dann Linus Pauling, der 1939 (Georg Zundel war gerade acht Jahre alt) in seinem Buch „Nature of the Chemical Bond“ ein Kapitel über Wasserstoffbrücken veröffentlichte und damit das Konzept endgültig unter dem uns heute bekannten Namen in der Fachliteratur verankerte. 

Im Jahre 1957 fand in Ljubljana, Jugoslawien, die von Hadži organisierte erste internationale Konferenz über Wasserstoffbrücken statt und 1960 erschien „The Hydrogen Bond“ von Pimental und McClellan, das erste Buch, das ausschließlich den Wasserstoffbrücken gewidmet war. Die Forschung an Wasserstoffbrücken war bis dahin hauptsächlich fokussiert auf die Stabilisierung von verschiedenen Strukturen durch diese Wechselwirkung. 

1961 griff Georg Zundel mit seiner ersten Publikation in das Geschehen ein und erweiterte die Forschung an Wasserstoffbrücken um einen wichtigen, neuen, bis dahin wenig beachteten Aspekt. Wasserstoffbrücken sind nämlich nicht nur für die Stabilisierung von Strukturen verantwortlich, sondern auch essentiell für Protontransferreaktionen, also solche Reaktionen, bei denen ein Proton von einer Donorgruppe auf eine Akzeptorgruppe übertragen wird. Da sie praktisch in allen biologischen Prozessen eine entscheidende Rolle spielen, sind Protontransferreaktionen die häufigsten Reaktionen in der Biosphäre. Das Proton kann dabei nur entlang von Wasserstoffbrücken übertragen werden. Daher hat sich Georg Zundel in besonderem Maße mit dem dynamischen Verhalten des Protons in Wasserstoffbrücken befasst. Er hat damit unser Wissen über den Mechanismus des Protontransfers grundlegend erweitert. Die Technik, die er zur Untersuchung von Wasserstoffbrücken anwendete, war in erster Linie die Infrarotspektroskopie, die auch jetzt noch die Methode der Wahl ist, wenn es darum geht, Protontransferprozesse zu studieren. 

Das erste Modellsystem, welches er infrarotspektroskopisch untersuchte, waren wasserhaltige Folien der Polystyrolsulfonsäure, einem Ionenaustauscher. Die wichtigste Beobachtung dabei war eine ungewöhnlich breite Absorption, die er kontinuierliche Absorption nannte, und die heute als Zundel Kontinuum oder kurz Kontinuum in der Literatur zu finden ist. Erforschte nach der Ursache für dieses Kontinuum und fand sie in der schnellen Bewegung des Protons in der Gruppierung H5O2+, die aus einem Proton und zwei Wassermolekülen aufgebaut ist. In einem theoretischen Ansatz hat er gezeigt, dass die Wasserstoffbrücken in dieser und in anderen Gruppierungen sehr große Polarisierbarkeiten aufweisen. Damit ist gemeint, dass das Proton weder an der Donor- noch an der Akzeptorgruppe lokalisiert ist und sich innerhalb der Brücke bewegen kann. Es wird leicht durch lokale elektrische Felder verschoben. Dieser Sachverhalt ist heute in der Fachliteratur „Zundel Polarizability“ genannt. 

Dank Georg Zundels Überlegungen können detaillierte Aussagen über das Verhalten von Protonen in Wasserstoffbrücken, über Brückenstärke und Brückenlänge und über die Rolle von Wasser in biologischen und vielen anderen Systemen getroffen werden. Dies führte zum Beispiel zu einem tieferen Verständnis der anormal hohen Protonenleitfähigkeit des Wassers, aber auch zur Klärung der für viele biologische Prozesse fundamental wichtigen Frage, wie Protonen in Proteinen verschoben werden. 

Durch die Tatsache, dass die Gruppierung H5O2+ unter dem Namen „Zundel Cation“ Eingang in die Literatur gefunden hat (ein Vorgang, den sich die meisten Wissenschaftler sehnlichst wünschen, aber niemals erreichen), soll aber nicht vergessen werden, dass Georg Zundel Hunderte von verschiedenen Wasserstoffbrückensystemen untersucht hat, in denen sich das Proton schnell zwischen der Donor- und Akzeptorgruppe bewegen kann und die somit in den Infrarotspektren ein „Zundel Kontinuum“ verursachen. Seine Arbeit hat nicht nur eine Fülle von wertvollen Informationen über die verschiedensten Arten von Wasserstoffbrücken hervorgebracht: Die Zundel’sche Kontinuumsabsorption ermöglicht heute ein besseres Verständnis der Protontransferprozesse und damit insbesondere die Aufklärung elektrochemischer und biologischer Prozesse auf molekularer Ebene. Viele Arbeiten, die in den letzten Jahren in angesehenen wissenschaftlichen Journalen publiziert wurden, sind durch Georg Zundels Forschung inspiriert.

 

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